Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ton am Dom 2018 - Plough live im Dom 07.07.2018 Im September werde ich schon vier Jahre in Halberstadt zu Hause sein. Halberstadt nennt man das „Tor zum Harz“, denn, wenn man von Norden kommend auf die Stadt zufährt, sieht man hinter ihrer Silhouette den Harz mit dem Brocken aufragen. Dieser Anblick kann, je nach Tages- oder Jahreszeit sehr imposant wirken. Halberstadt ist auch, was mir vor vier Jahren unbekannt war, eine Stadt der Kirchen. Deshalb kann man in der Stadt mindestens sieben Kirchen, einschließlich Dom, entdecken. Jedoch sind es mindestens fünfzehn Kirchturmspitzen. Allein sechs davon befinden sich am Domplatz. Zwei Türme hat der gotische Dom am Kopfende und vier hat die romantische Liebfrauenkirche, dem Dom gegenüber. Auf diesem Platz findet ein Mal im Jahr einer der größten, umfangreichsten und wohl auch schönsten Töpfermärkte dieser Region, unter dem Motto „Ton am Dom“, statt. Das ist bewusst doppeldeutig gemeint, den es gibt Ton- und Töpferkunst auf dem Domplatz zu bestaunen und es gibt Tonkunst im Dom zu hören. Ich mag diese Kombination von Ton und Tönen sehr, denn sie bietet allen Sinnen besonderen Genuss: Sehen, Hören, Anfassen sowie diverser Gaumenfreuden vom Knoblauch-Brot bis zum Kräuterlikör. Im Grunde ist es relativ leicht, den lockenden Verführungen zu erliegen und mit einem leeren Geldbeutel wieder nach Hause zu gehen. Die Kurz-Konzerte im Dom, die stets im Zweistundenrhythmus stattfinden, sind übrigens kostenfrei und für jedermann jederzeit zu besuchen. Selbst während der kleinen Konzerte kann man, natürlich leise, durch die Kathedrale wandeln und das gigantische Bauwerk von innen bestaunen. Von der Martinikirche kommend, die ebenfalls zwei (unterschiedliche) Türme hat, gehe ich zum Dom, dem tausendjährigen Domplatz dahinter entgegen. Der ist samstagvormittags reichlich zur Hälfte mit Buden und Ständen von über 50 Händlern, Kunsthandwerkern und Töpfermeistern belegt. Die ersten Besucher flanieren dicht gedrängt an gebrannten kleinen und großen Ton- und Keramikkunstwerken vorüber, um zunächst nur zu staunen. Auch ich gönne mir meist erst einmal oder gar zwei Runden. Ich möchte gern etwas Ausgefallenes und möglichst auch zu einem vertretbaren Preis finden. Dabei kann man mitunter ähnliche Stücke zu sehr unterschiedlichen Preisen finden. Es lohnt also, sich Zeit zu lassen und mitunter erst sonntags etwas zu kaufen. Die Vielfalt und der Ideenreichtum sind groß, die Farben- und Formenpracht überwältigend und manchmal findet man sogar Skurriles. So viele wunderschöne Rumstehchen und Einstäubchen, das einem Mann schwindlig und einer Frau schlicht warm ums Herz werden muss. Ganz ehrlich, hätte ich nicht zufällig ein anderes Hobby, ich würde hier tatsächlich mit einem Handwagen herfahren, weil der Moment, in dem ein Stück das Auge fesselt, fast hinter jeder Ecke lauert und mich schwach werden lassen könnte. Samstags gegen 11.00 Uhr wird „Ton am Dom“ offiziell und mit einer historischen Zeremonie eröffnet. Die Herren Gleim und Spiegel, natürlich in historischer Gewandung des 18. Jahrhunderts, treffen sich, es kommt zum Streit und zu guter Letzt kippt dabei einer der Stände. Ein Haufen zerbrochener Krüge sowie viele Scherben sind das Ergebnis. Einer der zerbrochenen Krüge ziert seitdem das Fensterbrett meines Zimmers. Dem Spektakel zuzuschauen, lassen sich viele Bürger und ihre Gäste nicht nehmen, zumal es in diesem Jahr schon die zehnte Ausgabe, mit Keramik, Kunst und Köstlichkeiten, zu erleben gibt. Zusätzlich zum Marktgeschehen und den Kurzkonzerten im Dom, haben das Gleimhaus und die anliegenden Museen ihre Türen geöffnet, um Exponate und Kunstschätze zu zeigen. In diesem Jahr habe ich mir eines der Dom-Konzerte ausgewählt. Mit Orgel, Säckpipa, Tin Whistle plus Banjo spielen und singen PLOUGH (Pflug) internationale Folk-Music in ihren ursprünglichen Versionen. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Über den Kreuzgang des Doms gelange ich in das Innere der Kathedrale. Betritt man dieses Gotteshaus zum ersten Mal, ist man von dessen Dimensionen zunächst überwältigt und man wird ehrfurchtsvoll staunen, was menschliches Schöpfertum und Baukunst hier zustande gebracht haben. Wie erst muss es einfachen Menschen vor Jahrhunderten ergangen sein und was könnten sie empfunden haben? Ich bin nicht gläubig, huldige keinem Gott, aber ich empfinde große Achtung und Respekt vor den Leistungen unserer Vorfahren. Also wähle ich einen der vorderen Stühle und verweile in Demut bis zum Beginn. Von der Empore über dem Altar ertönt der Gesang einer Männerstimme, die das Traditional „Amazing Grace“, in „erstaunlicher Anmut“ und seiner urwüchsigen Form a capella, singt. Den meisten ist dieses Lied in der Version von Judy Collins bekannt. Hier erklingt die alte Folk-Melodie ohne die Schnörkel der Pop-Generation. Das ist beeindruckend und, wie ich finde, viel emotionaler. Auch „Down By The River Side“, nur von Banjo und dezent von Piano untermalt, bekommt eine völlig andere Wirkung. Die drei Herren von PLOUGH verstehen es, ihr Instrumentarium zurückhaltend, und von leichter Hand geführt, einzusetzen. Erst als zu „We Shall Overcome“ auch die vier Manuale der Orgel des Doms einstimmen, wird aus der klanglichen Intimität etwas beinahe Göttliches, ist der weite Klangraumes rings um mich fast körperlich zu spüren. Diese Hymne, die auf einen alten Gospelsong zurückgeht, fährt tief in meine Knochen und ein dicker Kloß im Hals verhindert, dass ich mitsingen kann. Es ist so ergreifend und die Emotionen überkommen mich, eine Welle und noch eine. Dann braust Beifall auf, der eine spontane Zugabe einfordert. Ich verlasse meinen Platz und verziehe mich an die Seite hinter eine der dicken Säulen. Von hier aus verfolge ich die verbleibenden Minuten und kann auch in die Gesichter der Gäste schauen, die meist andächtig der Musik zu lauschen scheinen. Beinahe wie in einem Gottesdienst und vielleicht ist dies hier auch eine Möglichkeit der inneren Einkehr. Ich jedenfalls fühle mich tief innen berührt. Wieder draußen, kann ich plötzlich mit dem Markttreiben nichts mehr anfangen. Zu viele Menschen, zu viel Bewegung, zu windig und außerdem erschlägt mich das alles nach so viel Einkehr. Selbst der Duft des Knoblauchbrotes, den der Wind über dem Domplatz verteilt, kann mich nicht mehr halten. Meine müden Füße verlassen den staubigen Boden und mit dem Blick auf die beiden Martini-Türme gehe ich Schritt für Schritt, und den Domplatz im Rücken, der lockenden Dusche entgegen. Ton und Töne machen müde und, was noch viel schlimmer ist, sie machen Appetit auf ein Bier. Doch das ist, im Verbund mit den Künsten, eine ganz andere interessante Verlockung.
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.